Sing`mir, wo du stehst!

Kürzlich fiel mir ein Zeitungsausschnitt des „Freien Wort“ vom 2. Mai 1967 in die Hände, ein Bericht von der Mai-Kundgebung in Meiningen. Zu sehen sind wir als vier Jugendliche von der Henfling-Oberschule in FDJ-Hemden, und unter dem Bild steht: „Frohgestimmte junge Leute, die Gitarre in der Hand und ein Lied auf den Lippen, im Meininger Demonstrationszug“.

Ich weiß noch, dass ich unentwegt das Lied „Sag mir, wo du stehst!“ gesungen und gespielt habe. Mein Traum war, Protestsänger wie Ernst Busch oder Pete Seeger zu werden. Ich wusste zwar nicht, wogegen ich protestieren sollte (abgesehen vom „bösen“ NATO-Imperialismus), aber immerhin hatte mich mein Musiklehrer Kurt Diez auf der Bühne des Meininger Theaters das „Solidaritätslied“ singen lassen. Das war doch ein guter Anfang für mein eitles Ego! Doch wer hätte damals gedacht, dass dieser „progressive“ junge Mann einmal evangelischer Pfarrer werden würde?

Im Laufe des Lebens bin ich wirklich Protestsänger geworden, aber ich protestiere (als Protestant) mit fröhlichen Glaubensliedern gegen Hoffnungslosigkeit, Todesfurcht und esoterischen Aberglauben; mit „Shalom chaverim“ gegen nordischen Rassenwahn; mit „Ein feste Burg ist unser Gott“ gegen die selbstgenügsame Einstellung „My home is my castle“ (Mein Heim ist meine Burg).

Morgen in Jüchsen sind wir sogar hunderte von Protestsängern, die sich beim Kirchenchortreffen unseres Kirchenkreises zu kräftigem Gesang vereinen unter dem Motto: „Gottes Geist in dieser Zeit, mach zum Glauben uns bereit!“

Da könnte man das alte Lied des Oktoberklubs so abwandeln: „Sing mir, wo du stehst!“ Eigentlich reichen schon vier Töne mit Text, um einen Standpunkt deutlich zu machen: Bei der Tonfolge Es-F-G-F mit dem Text „Deutschland, Deutschland…“ würde ich sofort sagen: „Danke, das war’s – bei Rechts reicht’s!“ Bei der Tonfolge D-G-Fis-A mit dem Text „Wacht auf, Verdamm…“ wäre zu entgegnen: „Wie bitte? Es rettet uns kein höhres Wesen, kein Gott…? Da ist wohl eher die Linke nicht zu retten!“

Die Nationalmannschaft des DFB singt vielleicht gerade das Gesangbuchlied 58 „Nun lasst uns gehn und treten“. Falls sie früh ausscheidet, bleibt aber nur die Tonfolge G-G-Fis-E mit dem Text „Nun lasst uns gehn…“

Die Briten haben sich in dieser Woche berauscht an C-B-A-B „God save the Queen“. Das gönnen wir ihnen! In der Peter-und-Pauls-Kirche zu Jüchsen lassen wir morgen erschallen: D-Fis-G-A mit dem Text „Jauchzet dem Herrn!“


Pfarrer Wolfgang Hochstrate, Queienfeld