„In der Welt habt ihr Angst."

Als kleiner Junge fürchtete ich die Gänse auf dem Weg zum Kindergarten. Mit vorgestreckten Schnäbeln liefen sie mir nach. Wenn sie ihre Hälse reckten, dann waren sie auf Augenhöhe mit mir.

„Das schaffst du, Junge“, sagte mein Vater. Also brach ich auf, und schon stürmen sie auf mich zu. „Sie hacken dich und dann fließt dir das Blut in die Schuhe“, sagten die anderen Kinder. Ich flitzte schneller als der kleine und der große Wind, schlug die Tür zum Kindergarten hinter mir zu und setzte mich schnaufend auf die Schuhkiste. Meine Lieblingskindergärtnerin nahm mich in die Arme und sagte:

„Wieder die Gänse?“

„Ja.“

„Ach du, mein kleiner Angstjunge! Ich mach dir heiße Schokolade, ja? Das ist gut gegen die Furcht.“

„In der Welt habt ihr Angst.“

Mein Enkel ist zum ersten Mal im Tiergehege. Vor dem Gatter der Ziegen bleibt er stehen und fängt an zu schreien. Eine Dame sagt tadelnd zu ihm: „Das ist doch nur eine Ziege, Kleiner. Die tut dir nichts. Also reiß dich mal ein bisschen zusammen!“

Ich schaue die Dame an. Wie lange ist es her, dass sie selbst klein war? Sieht sie nicht, dass die Ziege ihr kauendes Maul auf der Höhe seiner Augen hat? Weiß sie nicht mehr von ihrem eigenen Schlottern in der Welt der Riesen? Manchmal möchte man die Großen schrumpfen lassen, damit sie wieder wissen, wie sehr man sich als Kleiner in der Welt fürchten kann.

„In der Welt habt ihr Angst“

„Lass mich nicht allein!“, fleht er. Aber es ist zu spät. Sie ist ihm gerade weg gestorben. Zweiundfünfzig Jahre waren sie beieinander. Allein ist man auch zu zweit oft gewesen, aber nicht so endgültig und unwiderruflich wie jetzt. Sie hat ihren Tod und er noch sein Leben. Was soll er damit anfangen? Die Geräusche, die er hört, sind nur noch seine eigenen. Das Leben ist ihm zum Fürchten geworden.

Da kommt seine Tochter aus der Küche.

„Ich hab dir Plätzchen gebacken gegen die Furcht. So wie Mama damals für uns.“

„Danke“, sagt er. „Das ist gut.“

Sie nimmt ihn in den Arm.

„In der Welt habt ihr Angst“, sagt Jesus. „Aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden.“

Das ist wie die heiße Schokolade meiner Kindheit als Lebenswort und Christusversprechen. Und deshalb, ihr Lieben: „Seid getrost!“