Ein Gott der Lebenden

Der kommende Sonntag hat zwei Namen: Totensonntag und Ewigkeitssonntag.

Viele kommen zu den Gottesdiensten und auf die Friedhöfe, die im alten Kirchenjahr von einem Menschen Abschied nehmen mussten.

Die Dichterin Mascha Kaléko (1907–1975) hat die Last der Trauer einmal so beschrieben: „Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang. Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?“

 

Wir müssen mit dem Verlust, mit unserer Trauer leben lernen.

Müssen damit fertigwerden, dass ein Mensch, der uns viel bedeutet hat, fortgegangen ist und auch nicht mehr wiederkommt.

Dass eine Lücke entstanden ist, die sich nicht mehr schließen kann und schließen wird.

Wie es der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860) gesagt hat: „Erst der Verlust belehrt uns über den wahren Wert der Dinge.“

Was kann uns helfen, den Verlust zu ertragen?

Was kann uns stärken, trösten und Mut machen?

Vielleicht die Nähe von Verwandten oder Freunden, die uns in unserer Trauer nicht allein lassen.

 

Vielleicht aber auch Worte, die eine Hoffnung auf Ewigkeit in sich tragen.

Wobei Ewigkeit nicht zeitlich gedacht ist, sondern als eine völlig andere Qualität. Leben in Fülle.

Jesus sagt: „Und das ist der Wille dessen, der mich beauftragt hat: Ich soll keinen von denen verlieren, die er mir anvertraut hat. Vielmehr soll ich sie alle am letzten Tag vom Tod erwecken.“ (Johannes 6, 39)

 

Das Wort „verlieren“ taucht hier auf. Es war kennzeichnend für Jesus, dass er keinen Menschen verloren gab.

In seinen Augen war niemand ein hoffnungsloser Fall.

Darum ging er mit Vorliebe auf diejenigen zu, die bei ihren Mitmenschen wenig galten: auf die Kranken und Behinderten, die seelisch Traumatisierten, die Leute mit anrüchigem Lebenswandel und üblem Leumund.

Ihnen erzählte er von Gott, den sie so bis dahin nicht gekannt hatten; Gott, der alle Menschen willkommen heißt, die ihre Hand nach ihm ausstrecken.

Die sogenannten Frommen seiner Zeit jedoch, denen eine solche Barmherzigkeit zu weit ging, versuchte Jesus mit Gleichnissen von seiner Sache zu überzeugen.

Das bekannteste Gleichnis ist das vom verlorenen Sohn, der das Erbe seines Vaters durchbringt.

Daneben gibt es aber auch das Gleichnis vom verlorenen Schaf, das sich in der Wüste verirrt, und das Gleichnis vom verlorenen Groschen, den eine Frau schmerzlich vermisst.

Alle Geschichten gehen am Ende gut aus.

Der ungeratene Sohn wird vom Vater herzlich wieder aufgenommen, der Hirte findet sein Schaf und die Frau ihren Groschen.

Jedes dieser Gleichnisse mündet am Schluss in die Freude.

Deshalb sprechen wir ja auch von Evangelium – von frohmachender Botschaft.

 Aber die Freude, die Jesus brachte, sollte nicht auf das irdische Leben beschränkt bleiben, sondern darüber hinaus reichen.

Jesus verspricht den Seinen die Auferweckung aus dem Tod und das ewige Leben.

Und wir sind gefragt, ob wir dieser Zusage glauben oder nicht.

Sicher ist, dass die Antwort, die wir geben, für unser Leben entscheidend ist.

Daran entscheidet sich, wie wir mit dem Verlust geliebter Menschen umgehen.

Daran entscheidet sich auch, was das Bewusstsein unserer eigenen Sterblichkeit mit uns macht.

Wir alle gehen auf das Geheimnis des Todes zu und sind nur vorübergehend Gäste auf dieser schönen Erde.

Irgendwann werden wir alles zurücklassen, was uns lieb und teuer gewesen ist.

Ich wünsche uns das Vertrauen darauf, dass unsere Verstorbenen Heimat gefunden haben bei Gott.

Und ich wünsche uns, dass wir selbst einmal getrost sterben können in der Gewissheit, dass bei Gott nichts und niemand verloren geht in Zeit und Ewigkeit.

Denn er ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden.