Ein Date mit Gott um 17 Uhr!

„Ich habe erfah­ren, dass die Poli­kli­nik in Trjochiz­benka dem Erd­bo­den gleich gemacht wurde. Lila und ihr Mann hatten sich in Sicher­heit gebracht. Lila leitet das Ambu­la­to­rium, das man sich wie eine kleine Poli­kli­nik vor­stel­len kann, nur ohne Ärzte. Seit 2014 gibt es viel zu wenig Ärzte im Kon­flikt­ge­biet des Oblast Luhansk.“, schreibt Imke Hansen, die seit 2016 in der Ostukraine als Friedensfachkraft für die Organisation KURVE Wustrow in einem Projekt für traumatisierte Menschen arbeitet. „Lila und das Ambu­la­to­rium sind ein ziviler Kno­ten­punkt im Front­ge­biet. Jeder kennt sie. Auch die kommen zu ihr, die Kontakt mit medi­zi­ni­schem Per­so­nal gegen­über sonst eher abge­neigt sind. Im Garten des Ambu­la­to­ri­ums stehen immer Grüpp­chen rum, unter­hal­ten sich, hier bekommt man Infor­ma­tio­nen, Zuspruch, Behand­lung, und alles andere, was in der Kriegs­si­tua­tion der letzten acht Jahre von Bedeu­tung war. Lilas Arbeit, und fast noch mehr ihre bloße Exis­tenz und ihre Art, sind unvor­stell­bar wichtig für den Zusam­men­halt und Wei­ter­be­stand der lokalen dörf­li­chen Zivil­ge­sell­schaf­ten dort.“

Lila und ihr Team mussten sich in Sicherheit bringen. Ihre Klinik und alles, was sie dort aufgebaut haben, existiert nicht mehr und auch nicht Lilas Wohnhaus in Trjochiz­benka. Imke erinnert sich, wie liebevoll und kreativ es eingerichtet war. Sie beschreibt in ihrem „Tagebuch einer Eskalation“ wie ihren Kollegen und Freundinnen der Boden unter den Füßen weg gerissen wird. Sie ist von Deutschland aus in Kontakt mit Menschen, die Fluchtautos und Versorgung organisieren, die selber ihr Leben riskieren. Sie ist nur eine von tausenden Helferinnen.

Lilas Geschichte ist nur eine von hunderttausenden Betroffenen. Sie alleine ist mir schon im Detail unfassbar schlimm genug. Unfassbar ist das alles im Ganzen. Ich sehe manches und so vieles sehe ich nicht. Ich sehe Aggression und Gegenaggression, ich sehe Verteidigung und und Waffenlieferungen, Einberufungen und eine Welle von Hilfslieferungen. Ich sehe Falschnachrichten und Kriegsleugner, Flüchtende, Gästezimmer und engagierte Friedenshelferinnen. Was ich nicht sehe, ist, wer wiedereinmal wo die Fäden zieht, wer daran  verdient, welche Interessen im Spiel sind und wie sich der junge ukrainische Rekrut und der junge russische Soldat fühlen hinter ihren Waffen. Ich sehe nicht, wie tief ihre Angst ist und die ihrer Mütter, ihre Söhne zu verlieren - egal auf welcher Seite. Ich sehe nicht die Gesichter all jener, denen das Brot ausgegangen ist oder der Strom. Nicht die Not belarussischer Männer, die quasi in den Krieg abgeführt werden. Und nicht die flackernden Lichter in den Kellern von Kyjiw. Ich könnte es auch gar nicht alles erfassen.

Vielleicht gibt es tatsächlich niemanden mehr, der alle Details dieser Verstrickungen noch im ganzen zusammen bringen kann. Jede Hilfe und jeder Protest, die ich geben könnten, erscheinen mir zu klein. Ich räume ein Zimmer frei und spende Geld, stehe mit anderen bei einer Friedensmahnwache. Es erscheint mir viel zu wenig.

Eine Gruppe in Europa ruft auf, sich jeden Nachmittag um 17 Uhr genau 1 Minute Zeit zu nehmen, an das alles zu denken und in Gottes Hand zu geben: alle Hilflosigkeit und alles Entsetzen, alle Sehnsucht nach einem baldigen Ende des Krieges und alle Segenswünsche für die vielen Menschen in Not.

Ich werde dabei sein. Ich habe ein Date mit Gott um 17 Uhr. Heute und so lange ich will. Es hilft mir selbst. Und es schickt eine Welle von Segen in den Krieg. Gott sagt: „Mein Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ 

Kraft für Dich selbst und zum Weitergeben wünscht Dir Deine Pfarrerin Bettina Schlauraff