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Predigt-Brief für Heiligabend 2020

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An die Christenmenschen in den Kirchengemeinden des Kirchenkreises Meiningen zum Heiligabend 2020, als wir Pandemie bedingt nicht in großer Gemeinschaft zusammen-kommen konnten, und an alle, die es zu hören und zu lesen bekommen:

Gnade und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus !

Die aufgeschlagene Bibel liegt vor mir: Das Lukasevangelium, Kapitel 2, die Weihnachtsgeschichte. Eigentlich muss ich nicht lesen, ich kann den Text fast auswendig sprechen. Er formt sich in meinem Kopf und sogleich kommen Bilder: Eine übervolle Kirche - Menschen dicht gedrängt – aufgeregte Kinder und Erwachsene kurz vor dem Krippenspiel – „Stille Nacht“ gesungen in von Kerzen erhellter Kirche und nach dem Segen vereint mit dem Glockengeläut ein lautstarkes „O du fröhliche“ . Die Bilder stimmen mich wehmütig und sehnsuchtsvoll zugleich: „Vielleicht - hoffentlich - im nächsten Jahr.“

In diesem Jahr feiern wir anders - auf Abstand, in kleinen Runden, leise, mit Gesang nach innen. Wir feiern anders, um einander zu schützen, als Zeichen der Liebe und Achtsamkeit.

Auch die Weihnachtsgeschichte höre ich anders in diesem Jahr, sie rückt mir näher als sonst, mischt sich ein in das, was ich täglich erlebe und stellt es in ein anderes Licht.

„Es begab sich aber zu der zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass Welt geschätzt würde...“

Zahlen prägen unseren derzeitigen Alltag: jeden Tag die Zahl der Neuinfizierten, der mit und an Covid-19 Verstorbenen, rot, dunkelrot oder magentafarben markierte Landkreise mit der Zahl der 7-Tage-Inzidenzen; schwindelerregende Zahlen über Umsatzausfälle und Neuverschuldungen.

In den Kirchengemeinden mussten wir zählen, ob unsere Kirchen und Gemeinderäume groß genug sind, um einigermaßen infektionssicher Gottesdienste feiern und Veranstaltungen durchführen zu können, eine belastende Aufgabe für Haupt- und Ehrenamtliche. Manchmal mussten wir Menschen sagen: „Hier ist kein Raum mehr für dich, alles voll“, haben damit Menschen gekränkt und mussten als eigentlich einladende Kirche unsere Türen schließen.

Das Zählen belastet, vor allem, weil hinter jeder Zahl ein einzigartiger Mensch steht, ein ganz individuelles Schicksal.

Die Corona-Pandemie hat unsere Selbstverständlichkeiten unterbrochen. Sie hat ins Wanken gebracht, was „wir schon immer so gemacht haben“. Und drängender als zuvor stellt sich die Frage: Was zählt? Was ist eigentlich wichtig im Leben?

Gott antwortet, er lässt seine Engel über den Felder von Bethlehem und über unseren Häuser verkünden:

Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.

Ein Kind wird uns geboren. Eigentlich ist das nichts Besonderes, auch am 24.12.2020 werden tausende Kinder geboren. Und doch ist jedes Neugeborene ein Wunder. Wer ein Neugeborenes anschaut oder in den Armen hält, ist fasziniert: Alles ist so winzig und zerbrechlich klein, zugleich steckt die geballte Lebenskraft in ihm, im Klang der Stimme, wenn seine kleine Hand unsere Finger umgreift. Und wenn sie uns anschauen, liegt in ihrem Blick alle Weisheit dieser Welt. Es überwältigt einen, rührt an zum Lachen und zum Weinen vor Freude. Harte Kerle und starke Frauen werden weich. Und mächtig ist der Wunsch, dieses Menschenkind mit allen Kräften zu schützen.

Gott kommt – ein Kind wird uns geboren.

„Hast du dir das gut überlegt, Gott, in diesem Jahr?“ - so bin ich in Versuchung zu rufen. „Wir haben gerade eine Pandemie, dazu all das andere erdenschwere Leid: Krieg und Hunger; wir streiten und hören einander wenig zu; um die Schöpfung steht es schlecht. Es ist kein guter Ort für ein Kind.“

Und mir ist als, ob Gott sagt: „Deshalb komme ich. Weil du es gerade jetzt brauchst.“

Deshalb werde ich mich wie die Hirten zum Stall gen Bethlehem aufmachen und die Geschichte sehen, die da geschehen ist.

In diesem Jahr ist mehr Zeit dafür sich anrühren zu lassen, denn nicht wir machen Weihnachten, Gott bereitet das Fest für uns:

Er kommt im Kind in der Krippe.

Mächtig als Wunder-Rat, Ewig-Vater, Friede-Fürst und ohnmächtig in der Zartheit eines Neugeborenen.

Weil er uns liebt: Sie, mich, jeden Menschen.

Das zählt.

„Fürchtet euch nicht! Ich bin bei euch!“- sagt Gott.

Und alles Erden Schwere verliert auf einmal an Gewicht.

Ich werde leicht und singe mit meinem Lieblingslieder - Dichter Paul Gerhardt,

was er in Pandemie-Zeiten voller Zuversicht gedichtet hat:

„Fröhlich soll mein Herze springen dieser Zeit,

da vor Freud alle Engel singen.

Hört, hört, wie mit vollen Chören alle Luft laute ruft:

Christus ist geboren!“ (EG 36)

Und Gottes Friede, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein behütetes neues Jahr!

Ihre Superintendentin Beate Marwede