Das heilige Zögern

Nein, diese Andacht handelt nicht vom alles beherrschenden und höchst bedrückenden Thema unserer Zeit. Es soll heute einmal um anderes gehen dürfen. Wir wollen nicht immer von dieser Plage lesen, reden und daran denken. Schließlich beginnen heute die Tage des Festes. Es geht um den heiligen Moment, das Zögern vor einem großen Anfang. Davon erzählt Bethlehem. Das wisst ihr. Davon erzählt aber auch Salzburg im Jahr 2012. Das wisst ihr vielleicht noch nicht. Deshalb will ich es euch jetzt schildern:

Die Geschichte beginnt vor 220 Jahren. Als Wolfgang Amadeus Mozart im Spätherbst 1780 nach Salzburg kommt, trägt er seine Konzertgeige noch bei sich. Aber er lässt sie zurück. In Wien ist sie schon nicht mehr dabei und von nun an nie mehr. Nach einer langen Reise durch die Jahrhunderte landet sie schließlich in Mozarts Geburtshaus in der Getreidegasse. Dort liegt sie noch heute, gut und sicher verwahrt als eine nahezu Unberührbare. Man bekommt sie nur zu sehen, wenn man sie zu hören bekommt. Ihr großer Augenblick ereignet sich im beginnenden Jahr 2012. Christoph Koncz ist damals 25 Jahre jung. Er hat es schon weit gebracht als Stimmführer der Zweiten Violinen bei den Wiener Philharmonikern. Koncz liebt Mozart so, wie man das Erwachen eines Kindes lieben kann in einem geduldigen Morgen. Er kennt die Getreidegasse. Er kennt das Geburtshaus des Meisters. Aber Mozarts Geige kennt er noch nicht. Und so wird Christoph Koncz zum Sinnbild aller Anfänger, aller weihnachtlichen Gaukler und Hoffnungsjongleure, aller tollkühnen Geburtshelfer eines Zaubers, der sich still ankündigt. Als der Musiker schließlich die Geige auf die Schulter legt so behutsam, wie man ein gerade erst erwachtes Kind aus den Kissen hebt, zögert er kurz, hält andächtig inne und spielt dann Mozarts fünf Violinkonzerte, eines nach dem anderen und ohne abzusetzen.

Es ist dieser heilige Moment, der sich nicht mehr zählt, nicht in Stunden, nicht in Minuten, nicht in einem Davor und nicht in einem Danach. Es ist nomadische Zeit, nicht sesshaft zu machen im Gegenwärtigen, unbehaust, immer auf dem Sprung zum nächsten Heiligen Abend, zur nächsten Geburt des Göttlichen in der Menschenwelt: Die Stille nach der Geburt vor dem ersten Schrei des Lebens, der Pinsel der Malerin, kurz bevor er die Leinwand berührt, der gehobene Taktstock des Dirigenten vor dem ersten Ton des Orchesters, das Streichholz an einem Docht, der noch nicht flammt, die schwebenden Hände der Pianistin über dem Klavier.

Weihnachten erzählt vom Innehalten der Zeit im heiligen Zögern vor einem großen Anfang. So steht es geschrieben:

„Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren.“