Ändere die Perspektive
Es liegt nun schon ein Vierteljahrhundert zurück, dass ich mich zusammen mit anderen Jugendlichen aus meinem Heimatort im Erzgebirge in der Junge Gemeinde einbrachte. Während des Gottesdienstes hatten wir unseren angestammten Platz auf der ersten Empore, gleich rechts neben der Kanzel. Wenn der Pfarrer damals von dort aus wie üblich die Predigt hielt, konnten wir ihm nahezu die Hand reichen. Aber mit Blick geradeaus war an der gegenüberliegenden Seite der Kirchenmauer ein Gemälde zu sehen. Ein schlichter Druck eines namenlosen Künstlers - in dieser Kirche das einzige künstlerische Bild überhaupt. Von der Empore aus hatte man den Blick frei auf Jakob, Erzvater im Alten Testament, der sich mit grauem Vollbart an einem Stein niederlässt, den Ellbogen gegen den Boden gedrückt. Er träumt von den Engeln, die man im Hintergrund sah, auf der Leiter auf– und absteigend: die Himmelsleiter.
Ich fand dieses Bild stets unbedeutend und einfach, nahezu sinnentleert. Der schlafende Jakob; Engel mit Flügeln; die aber nicht fliegen, sondern auf der Leiter klettern; die Leiter, die oben am unsichtbaren Firmament fixiert sein muss….
Wer schon einmal auf den Spuren Caspar David Friedrichs im Elbsandsteingebirge unterwegs war und im Kirnitzschtal beim Lichtenhainer Wasserfall zum Kuhstall emporgeklettert ist, hat vielleicht auch die dortige Himmelsleiter in jener steilen Felsspalte passiert.
Bei diversen Gartenarbeiten oder Umzugsvorbereitungen, wie dem Montieren von Deckenlampen oder Gardinenstangen, kommt man ohne Leitern meist auch nicht aus.
Es ist der Weg nach oben, ein paar Schritte nur über Stufen oder Steige, der die Perspektive schon ändert. Von oben sieht das da unten anders aus, etwas kleiner oder tiefer, eben weiter weg.
Ich habe das Bild aus der Kirche meiner Heimat noch an keinem anderen Ort gesehen. Wenn ich heute daran denke, erkenne ich einen Sinn, den ich vor 25 Jahren noch nicht wahrnehmen konnte: Jakob sieht das Haus Gottes und das Tor des Himmels. Das stärkt seinen Glauben an Gott, der ihn mit Land beschenken und als Segnender nicht von seiner Seite weichen wird.
Vielleicht gibt es diese Sehnsucht: ab und an etwas nach oben zu steigen, die Sache von dort aus zu betrachten, sich dem Tor des Himmels anzunähern, und dann wieder im hier und jetzt mit beiden Beinen auf dem Erdboden stehend, im Glauben gestärkt zu werden von Gott, der als Segnender nicht von unserer Seite weicht.
Pfarrer Daniel Meyer (ab 1. Juli: Walldorf-Metzels)