Unwirklich

Unwirklich ist ein seltsames Wort. Es trifft zurzeit mein Lebensgefühl. Da sitze ich in Meiningen am Markplatz auf einer Bank und lecke in der Sonne ein Eis. Normalerweise keine Information für die Zeitung. Doch ich weiß, dass Covid-19 immer noch eine Gefahr ist. Unwirklich.

In den Läden tragen immer mehr Menschen keinen Mundnasenschutz mehr – oder sie tragen ihn lässig heruntergezogen. Da hilft er nicht. Unwirklich.

Gefühlt wird jede Situation im Alltag zu einer kleinen Ausnahme: „Es sind doch nur wir hier. Das kann man locker sehen.“ Unwirklich.

Alles soll wieder auf normal umgestellt werden. Dabei ist normal der Zustand, der uns angreifbar gemacht hat. Dieser Zustand soll das Ziel sein? Unwirklich.

Spreche ich mit Menschen, die in der Intensivmedizin arbeiten, bekomme ich ein anderes Bild vermittelt. Am Ernst der Lage hat sich nichts geändert. Unwirklich.

In den Nachrichten höre ich von neuen Ansteckungen in China. Menschen fordern hier und da, dass man in China die Wet Markets verbieten solle. Oft wissen diese Menschen nicht, dass der Fleischer im Supermarkt ihrer Wahl diesen Supermarkt zu einem Wet Market macht. Wir nennen das bei uns nur nicht so. Unwirklich.

In der Bibel heißt es über Christenmenschen: „Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Kraft, Liebe und Besonnenheit scheinen mir gute Freundinnen in unwirklichen Zeiten zu sein. Alles braucht zurzeit das Extra an Energie. Die Liebe erinnert mich: Es geht um meine Mitmenschen. Wenn ich mich gut verhalte, hilft es uns allen. Besonnenheit ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Besonnenheit ist weder träge noch aktivistisch, sie schweigt nicht aber sie schreit auch nicht. Besonnen – mit Sinn – will ich handeln und leben.

Ich wünsche uns Kraft, Liebe und Besonnenheit.