Jesus, hilf uns!

Vor Kreta liegt die Insel Spinalonga. Bis in die fünfziger Jahre war sie eine isolierte Lepra-Kolonie. Die zehn Aussätzigen, die Jesus um Erbarmen bitten, könnten auch auf dieser Insel gelebt haben. Aus gehörigem Abstand (damals schon!) rufen sie Jesus zu: Hilf uns! - Nicht dass Jesus ihre Nähe vermeiden würde, aber wenn sie aus Vorsicht oder Respekt nicht näherkommen, kann er auch aus der Ferne heilen. Und so weist Jesus gleich an: Geht zu den Priestern, lasst euch gesundschreiben!

Hauptsache gesund! Das ist das Wichtigste, alles andere ist zweitrangig. Unter Umständen nicht mal unbedingt gesund (oder krank) sein, sondern gesund (oder krank) geschrieben sein. Und so eilen die zehn Kranken gleich zu den Priestern, dem damaligen Gesundheitsamt - und kommen damit hoffentlich aus der Quarantäne raus!

Nur einer erstmal nicht. Der kommt wieder. Warum? Hauptsache gesund - sieht er das anders? Ist Gesundheit die „Hauptsache“ in jeder Hinsicht, koste es, was es wolle, gesellschaftlich, privat? Das ist bekanntlich eine hochaktuelle, bedrängende Frage. Was macht Gesundheit aus, was umfasst sie, was gehört dazu? Jesus hat viele Menschen körperlich geheilt - aber nicht alle. Dazu ist der Heiland nicht in die Welt gekommen, jedenfalls nicht in der Hauptsache. Seine Hauptsache ist eine andere. Und das scheint dieser eine gesundgewordene Kranke zu ahnen.

Hauptsache gesund - ja! Im Sinne von „heil“, was mehr ist. Leibliche Gesundheit ist äußerst wertvoll, sonst hätte Jesus keine Blinden, Gelähmten und Aussätzigen therapiert. Aber sie ist nicht absolut alles. Im göttlichen Sinn kann ein Blinder „heiler“ sein als ein Sehender, ein Gelähmter „gesünder“ als ein Springinsfeld, ein Schwacher „stärker“ als ein Leistungssportler. In Gottes Nähe zu sein, auf grünen Auen, im finsteren Tal - das ist wichtig. Wenn alles andere in Frage steht - das bleibt, das hält, das stärkt.

Ja, Gott kann auch fern sein, Jesus selbst ruft am Kreuz: Warum hast du mich verlassen? Doch er sagt auch: Bittet, und ihr werdet empfangen; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und euch wird aufgetan … Deshalb ist der eine zu Jesus zurückgekehrt. Um ihm zu danken, um in seiner Nähe zu sein - um durch den Dank sich dieser Nähe bewusst zu sein. Das mag ein ganz tiefer Sinn des Betens sein - "Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten", so beginnt ein sehr bekanntes Kirchenlied

Gott kann auch aus der Ferne wirken. Doch es ist gut, ihm immer wieder nahe zu sein. Vergessen wir das nicht. Machen wir uns das immer wieder bewusst. "Du durchdringest alles, lass dein schönstes Lichte, Herr, berühren mein Gesichte …"

Eine gesegnete Erntedankzeit wünscht Ihnen Sebastian Wohlfarth