Dabei sein

„Wenn finster werden, die durch die Fenster sehen“ (Prediger 12,3)

Es ist ein großes Haus. Drei Stockwerke. Im unteren lebt sie. Das Stubenfenster geht zur Straße hinaus. Dort sitzt sie oft und lehnt sich der Welt entgegen. Sie will sehen, hören und sich mitteilen.

Manche bleiben stehen, um sich mit ihr zu unterhalten. Nun weiß sie etwas mehr von den Geschichten der Leute und den Ereignissen der Zeit. Sie ist drin und draußen zugleich. Sie kann kaum noch laufen.

Aber sie lässt sich weder durch schwere Türen noch durch dicke Fenstergläser ausschließen. Sie will dabei sein im Treiben einer Stadt und den kleinen und großen Leben der Leute. So mancher spottet gern über die, die an den Fenstern sitzen. Man sagt dann, sie hätten zu viel Zeit und seien nur an Klatsch und Tratsch interessiert.

Ach, wie wenig versteht, wer so redet! Wer weiß schon von der tiefen Schwermut dieser Einsamkeit? Wer kennt das zähe Alleinsein in einem Haus, das nur noch eine Bewohnerin hat? Wer weiß vom Schweigen der Wände und vom zähen Ticken der Zeit in den Stuben?

Die an den Fenstern sitzen, sehnen sich nach dem Leben draußen. Sie freuen sich über jeden, der ihnen von seiner Zeit abgibt. Sie sind glücklich über ein paar gute Worte. Sicher – sie wollen auch an dem großen Schauspiel draußen teilhaben, am bunten Treiben auf den Straßen und Wegen. Ja, es ist auch etwas Schaulust dabei.

Aber wer könnte das nicht verstehen? Das Fenster wird zu einem Mittel gegen die Ausgrenzung. Manchmal bleibe ich bei ihr stehen auf meinem Weg durch die Stadt. Sie hat glitzernde Augen. Es ist, als hätte Gott ihr ein paar Abendsterne hinein gesetzt. Gott, zu dem sie sich auch hinaus lehnt.

"Na, Herr Pfarrer, was gibt es Neues?" Manchmal kann ich ihr etwas erzählen. Aber oft genug ist sie es, die etwas auf dem Herzen hat. „Wenn finster werden, die durch die Fenster sehen.“ Sie lehnt sich nach draußen. Es ist, als käme ihr die Welt entgegen. Und Gott auch.


Pfarrer Thomas Perlick, Römhild