An der Hand

Eigentlich ist er ganz schön frech, der Kleine. Mit seinen fünf Jahren misst er nur etwas über einen Meter - doch mit dem Mundwerk ist er ganz vorne dabei. Doch manchmal ist es anders. Wenn ein Kennenlernen mit anderen Kindern ansteht, verschlägt es ihm die Sprache. Heute ist es wieder so. Im Zimmer nebenan sind Kinder versammelt. „Papa, ich will da nicht rein!“ raunt der Kleine. Wortlos, freundlich lächelnd, nimmt ihn der Vater bei der Hand. Gemeinsam betreten sie das Zimmer. Seite an Seite. Bald strahlt der Kleine über das ganze Gesicht. Die Hand des Vaters hält er festgedrückt.

„Dennoch bleibe ich stets bei Dir; denn Du hältst mich bei meiner rechten Hand, Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.“ (aus Psalm 73)

Diese Zeilen sind das Bekenntnis eines Beters, der Schlimmes erlebt hat. Zeiten der Einsamkeit. Verlassen von denen, die er liebt. Zeiten der Krankheit. Ausgezehrt und gezeichnet von Schwachheit. Gezeichnet von Bitterkeit: Hat Gott mich verlassen? Er erduldet, erträgt, hält aus. Dann bekennt er, getragen von tiefem Gottvertrauen: Du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du, Gott, bist bei mir. Du sorgst dich um mich. Du zeigst mir den Weg. Du bist bei mir. Du bleibst bei mir.

Die Hand – ein Körperteil, den ich kaum bewusst wahrnehme, aber rund um die Uhr brauche. Die Hand besteht anatomisch aus 27 Knochen, 33 Muskeln und wird von 3 Nerven versorgt. Mit der Hand greife ich: Morgens nach der Teetasse und mittags nach der Tageszeitung. Als Kind war mir die Hand mit ihren fünf Fingern ein zuverlässiges Instrument, wenn es um das Rechnen ging: eins, zwei, drei, usw.

Die Hand – nicht nur ein Körperteil. Viele Traditionen und Verhaltensweisen unserer Kultur kommen ohne sie kaum aus. Vertragspartner besiegeln ihr Abkommen mit Handschlag. Eltern nehmen fürsorglich ihre Kinder an die Hand, wenn sie die Straße überqueren. Ein Liebespaar spaziert durch den Park. Hand in Hand. Das Schütteln der Hände als Zeichen des Friedens: Ich komme unbewaffnet. Die jüngsten Ereignisse verändern dieses Ritual. Nun wird (vorerst) nicht mehr geschüttelt.

Die übertragene Bedeutung der Geste soll bleiben: Du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du, Gott. Ich habe dich erfahren, als Begleiter und Retter, als Gefährte auf meinem Lebensweg. Begleite mich auch weiterhin, in Zeit und Ewigkeit.

Daniel Meyer, Schulpfarrer in Meiningen